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Als einzige mit der Zwangsvergabe von Brechmitteln befasste Institution lehnt die Bremer Ärztekammer bis heute jede Mitverantwortung für die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen ab. Engagierte Ärzte und die örtliche Gruppe der IPPNW-Ärzte in sozialer Verantwortung haben über Jahre bisher vergeblich versucht, eine offizielle Aufarbeitung der Vorgänge zu erwirken.
Die Delegiertenversammlung der Ärztekammer Bremen sprach sich im Oktober 1995 eindeutig gegen Zwangsvergabe von Brechmitteln ausgesprochen, und den Polizeiarzt Dr. Männche zur Änderung des Verfahrens aufgefordert. Dieser trat daraufhin zurück; im gleichen Jahr übernahm der Leiter der Rechtsmedizin Dr. Birkholz diese Aufgabe, für die er Ärzt*innen seines Institutes für Beweissicherung einsetzen wollte. Dr. Birkholz wirkte auch daran mit, dass die Delegiertenversammlung der Ärztekammer Bremen im August 1996 die Vergabe von Brechmitteln nun doch „für vereinbar mit dem ärztlichen Berufsethos“ hielt. Unterstützt wurde dies von der Präsidentin der Ärztekammer, Dr. Auerswald. Diese sprach nun davon, der ablehnende Beschluss von 1995 sei „inhaltlich nicht durchdacht“ gewesen. Wohl auch, um Herrn Birkholz vor berufsrechtlichen Konsequenzen zu bewahren, gab Dr. Auerswald im Herbst 1996 ein Schreiben heraus. In diesem bestätigte sie die Ablehnung der Zwangsvergabe von Brechmitteln, gleichzeitig versicherte sie Ärzt*innen, die zum Beweissicherungsdienst dienstverpflichtet werden, keine Folgen von Seiten der Ärztekammer erwarten zu müssen. Auf der einen Seite konnten so Bereitschaftsärzte im Notdienst oder an Kliniken mit Verweis auf die Kammer die Durchführung verweigern, auf der anderen Seite wurde Dr. Birkholz die Möglichkeit gegeben, seine Ärzte unbehelligt von der Ärztekammer die Brechmittelvergabe durchzuführen zu lassen.
Dr. Birkholz hat das Schreiben als Freibrief durch die Ärztekammer verstanden. Die Bremer Politik wie auch die Presse verstanden die Haltung der Ärztekammer ebenfalls so, dass diese dem Verfahren zustimme. Das Institut für Beweissicherung führte bis 2005 kritik- und bedenkenlos die Brechmittelvergaben durch. Auch der Arzt, der die tödliche Brechmittelvergabe an Herrn Condé durchführte, war langjähriger Mitarbeiter des Instituts für Beweissicherung.
Heute sagt die Ärztekammer, sie habe das Beweissicherungsverfahren mit Ipecacuanha nicht verbieten können. Sie habe nur Vorgaben formulieren können, die von den beteiligten Ärzt*innen einzuhalten waren. Sie verschweigt dabei, dass es diese Vorgaben in ihrer Widersprüchlichkeit waren, die die massenhafte Durchführung des Zwangserbrechens erst ermöglichten. Wären andere offizielle Stellen, so redet sich die Ärztekammer heute heraus, den Warnungen der Ärztekammer gefolgt, so hätte es die Praxis des Zwangserbrechens nicht gegeben.
Dass es sich hierbei um eine reine Schutzbehauptung handelte, wurde spätestens mit dem Beschluss der Ethik-Kommission von 1998 deutlich, in dem das Zwangserbrechen als vereinbar mit der ärztlichen Ethik eingestuft und sogar als ‚gesellschaftliche Aufgabe‘ tituliert wird.
Nach dem Tod von John Achidi 2001 in Hamburg verweigerte der Vorstand der Ärztekammer eine erneute Befassung mit der Thematik. Der Beschluss aus dem Sommer 1996 sei weiterhin geltend.
Andere Ärztekammern, etwa die in Hessen und Hamburg, wandten sich eindeutig gegen die Vergabe von Brechmitteln. Jedoch auch der deutsche Ärztetag fasste 2002 widersprüchliche Beschlüsse, die die Fortführung der Brechmittelvergabe begünstigten. Während der Ärztetag einen Antrag verabschiedete, dass die „Vergabe von Brechmitteln ohne Zustimmung des Betroffenen ärztlich nicht zu vertreten“ ist, stimmte derselbe Ärztetag in einem anderen Antrag ärztlicher Beteiligung zu: „wenn die Verabreichung von Brechmitteln unerlässlich ist, kann sie unter qualifizierter und ärztlicher Aufsicht vertretbar sein“.
Erst 2006, nach einem Urteil des Europäischen Menschengerichtshofs, das die zwangsweise Brechmittelvergabe als menschenverachtend und erniedrigend deklariert, kam es zu einer Änderung der öffentlichen Positionen des Deutschen Ärztages hinsichtlich der Vergabe von Brechmitteln.