16. Prozesstag, 23.7.2013

Erklärung der Vorsitzenden Richterin Lätzel zur Intervention des Leitenden Oberstaatsanwalts gegen die von ihr geplante Einstellung des Verfahrens; Erklärung des Verteidigers Joesters zur politischen Einflussnahme auf den Prozess, weshalb im Umkehrschluss politische Verantwortliche geladen werden sollen

Beim heutigen Termin war zu erfahren, dass der Prozess im Grunde schon so gut wie eingestellt war, jetzt aber plötzlich eine Wendung erfährt durch eine entsprechende Weisung des Leitenden Oberstaatsanwaltes.
Nach einer Verzögerung durch eine Verkehrsstörung wurde der Prozess von einer sichtlich aufgebrachten Richterin eröffnet.
Sie teilte in einer „Erklärung“ mit, dass sie am letzten Freitagnachmittag vom Leitenden Oberstaatsanwalt angerufen worden sei, der ihr verkündet habe, dass er einer Einstellung des Prozesses nicht zustimmen werde. Darüber sei sie sehr verwundert gewesen, weil sie aufgrund eines Schreibens der Oberstaatsanwaltschaft an den Justizsenator vom 05/07 sicher von einer Einstellung ausgegangen war. Sie, die Richterin, habe sich “im Traum nicht vorstellen können, welchen Einfluss die Politik auf ein laufendes Verfahren hat“. Da sei der „Einfluss der Politik auf das Verfahren aber groß“, habe die Richterin auch dem Leitenden Oberstaatsanwalt am Telefon gesagt. Dieser habe hierauf entgegnet, er habe keine Weisung aus der Politik erhalten. Die Richterin sagte, sie habe es sich erspart, eine Erklärung für den plötzlichen „Gesinnungswandel“ zu verlangen. Sie erspare auch dem anwesenden Staatsanwalt, diese Weisung nun selbst vorzustellen, „da mir bekannt ist, dass Sie anderer Meinung sind“ und erklärte daraufhin im Gerichtssaal, dass das Verfahren fortgesetzt werde.
An den Angeklagten Volz gerichtet sprach die Richterin davon, dass aus anderen Prozessen mediale Vorverurteilungen schon bekannt sind und dass die Verteidigung dies häufig zum Anlass nähme, Anträge zu stellen, weil so kein ordnungsgemäßer Prozess stattfinden könne, das Gericht diese Anträge aber ablehne. Sie gab dem Angeklagten in direkter Ansprache an ihn jedoch eine „Zusicherung“, die mediale und politische Einflussnahme bei einer etwaigen Strafzumessung wohlwollend zu berücksichtigen, gleichwohl der Ausgang des Prozesses „noch nicht feststeht“.
Nach dieser Verkündung durch die Richterin hielt der Verteidiger Joester eine Ansprache. Angesichts der nun veränderten Lage müsse, so Joester, die Verantwortung der Politik vor Gericht geklärt werden. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass die Brechmitteleinsätze durch die Politik in die Welt gebracht worden seien. “Das war die SPD unter Henning Scherf“, die durchsetzte, „dass viele Brechmitteleinsätze durchzuführen sind“. Um zu ermitteln, was der Grund für die „Folter“ war und darzustellen, wie groß der Druck auf die Ärzte war, würde die Verteidigung nun weitere Beweisanträge stellen, die sie bisher zurückgehalten habe. Als neu Vorzuladende fielen die Namen des früheren Justizenators und Senatspräsidenten Scherf (SPD), des ehemaligen Innensenators Röwekamp (CDU) und des früheren Leitenden Oberstaatsanwalts Frischmuth. Letzterer habe sich „energisch“ für Brechmittelvergabe eingesetzt.
Die Verteidigung vermutete außerdem, dass die letzten Stellungnahmen aus der Politik mit der anstehenden Bundestagswahl in einem Zusammenhang stehen könnten.
Die Richterin teilte noch mit, dass es sich insgesamt (alle Verfahren zusammen) um den 54. Verhandlungstag handele.
Für den nächsten Prozesstermin soll zunächst versucht werden, die Rettungssanitäter erneut einzuladen. Diese sollen auf Antrag der Verteidigung noch mal zu Fragen gehört werden, die sich erst nach ihrer ersten Aussage im Prozess ergeben hätten.
Der nächste Termin ist der 31/07 um 09:15, Raum 231.

Der Termin am 29/07 wurde abgesagt.

Der Prozess wird entgegen unserer Erwartung noch ein Stück weitergehen. Ob dabei wirklich alle Termine wahrgenommen werden, die die Richterin jetzt bis November vergeben hat, sei dahingestellt. Die Richterin war die ganze Zeit über sichtbar angepisst und wollte wohl mit der Bekanntgabe der vielen Termine auch eine „Wir können auch anders“-Haltung einnehmen.
Die nun festgelegten Folgetermine sind:
31/07, 9:15 Uhr
09/08, 13:00 Uhr
06/09
16/09, 13:00 Uhr
30/09, 13:00 Uhr
14/10
23/10
29/10
31/10
18/11, 13:00 Uhr
27/11
jeweils um 09:15 Uhr, wenn nicht anders angegeben.

Die ursprünglich angesetzte Vernehmung des Angeklagten Volz fand nicht statt.

Verhandlungsort: Strafkammer 21, Schwurgericht 1, Saal 218

X Entschädigung für alle Betroffenen von Brechmittelfolter