17. Prozesstag, 31.7.2013

Nochmalige Befragung der Sanitäter Erhut und Kiel

Heute wurden die beiden Rettungssanitäter Alexander Erhut, 34 Jahre und Raphael Kiel, 48 Jahre, erneut verhört. Dabei ging es um den kurzen Zeitraum vor der Reanimation Laye Condés.
Der Hauptgutachter Herr Schneider ist nicht anwesend, der zweite Hauptgutachter Herr Eyrich ist in der Zwischenzeit verstorben.

Es wurden erneut die Rettungsassistenten nacheinander verhört, die bei dem Einsatz 2004 dabei waren. Die Befragung war ausgerichtet auf den Widerspruch, der aus den Aussagen des Notarztes und der Rettungssanitätern entstand, bezogen auf den kurzen Zeitraum vor der Reanimation. Beide Sanitäter wurden zu diesem Zeitraum, als die Herzfrequenz (HF) auf 34 absank, befragt und ihnen die Aussage des Notarztes (NA) sowie Teile ihrer eigenen früheren Aussagen vorgelesen.
Der Notarzt hatte in seiner Aussage vom 23.4.2008 beschrieben, dass Herr Volz den 3. Erbrechensvorgang beendet hatte ohne den Eindruck zu machen, noch Hilfe von ihm als Notarzt zu wollen und beim Einpacken war. Es sei Aufbruchstimmung gewesen. Die angekündigte Zeit sei eh weit überschritten und die Überwachungsgeräte wie das EKG seien schon abgemacht gewesen. Er habe an der Tür gestanden, als er auf einmal gemerkt, dass sich bei Herrn Conde etwas veränderte. Er habe den Blick eines der Polizisten getroffen, der anscheinend denselben Eindruck hatte. Er habe ausgesehen, als würde er nicht mehr richtig atmen. Zu diesem Zeitpunkt habe es kein EKG und keine Sättigungsüberwachung mehr gegeben. Er habe angewiesen, dass Gerät wieder anzuschließen. Es sei bemerkt worden, dass der Sauerstoffüberwachungsklipp kaputt war und nach einem neuen geschickt worden. Wegen abfallender HF seien Notfallmaßnahmen eingeleitet worden.

Die Richterin fragt vor dem Hintergrund dieser Aussage des Notarztes, ob die Herzfrequenz die ganze Zeit durch die Sanitäter angesagt worden wäre.
Herr Erhut berichtet in seiner Aussage, dass sie anfangs das EKG ausgedruckt hätten und dann später noch eins. Die erste HF sei angegeben worden und dann immer wieder, wenn sich etwas ändere. So würde das standardmäßig immer gemacht. Er kann sich nicht mehr genau an diese Situation erinnern, geht aber davon aus, dass es auch in diesem Fall so war. Herr Kiel habe irgendwann das Absinken der HF auf 33 dem NA angesagt. Er habe das mehrfach gemacht, bis der NA reagiert habe. Ob er auf das akustische Signal reagiert hätte oder selber auf die Messwerte geschaut habe, weiß er nicht mehr genau. Als Rettungsassistenz sei es ihr Job, die Vitalwerte zu überprüfen und deren Veränderung anzusagen, solange bis eine Reaktion vom NA komme, d.h. solange bis sie wüssten, dass die Information angekommen sei. Wer die Ausdrucke gemacht bzw. angeordnet habe, weiß er nicht mehr.

Die Richterin liest die Aussage des NA von 2008 vor (s.o.) und fragt nach der Erinnerung von Herrn Erhut zu dieser Situation:
Herr Erhut sagt, dass der Notarzt am Tisch gesessen und das Protokoll geschrieben habe. Er habe so gesessen, dass er den Patienten nicht habe sehen können. Der Notarzt habe da gesessen und nichts gemacht, damit war er als Sanitäter nicht einverstanden gewesen. Er kann sich nicht erinnern, dass der NA an der Tür stand.
Die Elektroden seien zwischenzeitlich nass geworden, wegen des Wassers und mussten wieder neu angeklebt werden. (Er wird darauf hingewiesen von der Richterin und Herrn Joester, dass dieser Vorgang relativ zu Beginn des Einsatzes gewesen ist, dass geht aus dem Protokoll hervor).
Herr Volz habe mehrfach gefragt, ob er weitermachen könne oder nicht. Der NA habe geantwortet: ist mir doch egal. Der RA habe gefragt, sollen wir das Gerät abmachen oder nicht. Der NA habe gesagt: „abmachen.“

Die zwei EKG Ausdrucke werden angeschaut und besprochen. Es geht darum, warum die Sauerstoffsättigungslinie darauf zu erkennen ist und bei welchen Fehlern das Gerät anfange zu piepen.
Sauerstoffsättigung: Es geht immer wieder darum, ob und wann die Sauerstoffsättigung gemessen wurde, wann das sichtbar war auf dem Gerät. Dazu gibt es keine weiterführenden Erinnerungen bei beiden Sanitätern. Sie erinnern sich, dass damit was gewesen ist und das ein neuer Klipp aus dem Notarztwagen geholt wurde.
Es wird dazu das Protokoll von Herrn Schütte (Fahrer des Rettungswagens) verlesen, der angibt, wegen des zerbrochenen Klipps rausgewesen zu sein, einen neuen aus dem Notarztwagen geholt zu haben und als er wieder hereinkam, sei die Situation verändert gewesen, weil Herr Conde jetzt flach lag und beatmet wurde. Herr Joester weist mehrfach auf diese Zeugenaussage hin.

Joester weißt darauf hin, dass ein Polizeibeamter die Aussage gemacht hat, er hätte als erstes darauf hingewiesen, dass Laye Conde flach atme und etwas nicht in Ordnung sei.
Herr Erhut bleibt dabei, dass sein Kollege Kiel die Bradykardie mehrfach angesagt habe, und dann erst der NA irgendwann reagiert habe. Dieser habe auf seinem Platz gesessen und den Bericht geschrieben. Dann habe er gehandelt und Atropin und weiteres angeordnet.

Auf die Frage von Frau Maleika, ob von Herrn Volz eine Reaktion gekommen sei zum Absinken der HF, sagt der Sanitäter, er arbeite mit dem Notarzt zusammen und gebe diesem die Rückmeldungen. Dieser sei ihm weisungsbefugt. Auf Herrn Volz sei er in dieser Situation nicht fokussiert gewesen.

Die Richterin befragt Herrn Erhut zu seiner früheren Aussage, er habe sich umgedreht und „saubergemacht“, dann habe Kiel seinen Namen gerufen, er habe sich umgedreht und die Reanimation sei schon im Gange gewesen. Sie habe den Eindruck, als sei der Vorfall eingetreten, obwohl man gar nicht damit gerechnet habe. Herr Joester und der Staatsanwalt meinen, dass eine Situation ja nicht so dramatisch sein kann oder nicht als dramatisch interpretiert wurde von Herrn Erhut, wenn jemand sich umdrehe und sauber mache.
Herr Erhut macht deutlich, dass er sicher nicht in dem Sinne sauber gemacht habe. Er wisse nicht mehr, was er genau gemacht habe, wahrscheinlich habe er Dinge weggeräumt. Er sei in der Lage die Dramatik der Situation erkennen, wenn eine HF bei 34 liege. Ob der Patient schon in geänderter Position flach lag, als er sich umdrehte, wisse er nicht mehr.

Der zweite Rettungsassistent Herr Kiel wird weitgehend zum Selbigem befragt.
Er habe nicht permanent auf das Display geschaut, ab bestimmter HF gäbe es ein Signal, auf das habe er reagiert und die HF weitergegeben. Er weiß nicht mehr genau, was er im Detail sagte, auf jeden Fall den Inhalt, dass die HF absinke. Irgendwann habe sich der NA bewegt, alles sei relativ schnell gegangen, der Patient sei sehr bald reanimationspflichtig gewesen und alle Maßnahmen getroffen worden. Atropin aufzuziehen gehe ja auch schnell. Bei der HF von 34 habe er Bescheid gegeben, bei der HF von 23 sei angefangen worden zu reanimieren. Genaue Zeitangaben kann er nicht machen.
Nach Verlesen des Protokolles des NA aus 2008 sagt Herr Kiel, dass dies so nicht stimme. Der NA habe zwar gesagt, dass sie das EKG abmachen können. Er selber habe aber darauf bestanden, dass dieses dranbleibt, solange sie als Notfallteam im Raum sind. Es sei die ganze Zeit nicht abgemacht worden. Sonst hätte er die Bradykardie ja auch gar nicht ansagen können. Der Blutdruck wurde zu dieser Zeit nicht gemessen. Es kann sein, dass Blutdruckmessgerät zu dieser Zeit schon abgenommen war. Nach seiner Erinnerung ist der NA noch am Tisch gewesen und nicht an der Tür.
Die Richterin sagt, dass sie wisse, dass die Rettungsassistenten mit dem Verhalten des NA nicht einverstanden seien. Sie verliest ein früheres Stichwortprotokoll, welches von ihm unterschrieben sei. Nach dem Neuankleben der Sonde sei einige Zeit vergangen, dann habe Herr K. die absinkende HF angesagt.
Befragt zur Situation, in der der Kollege sich umgedreht und „saubergemacht“ habe, sagt er, dass er das nicht mehr wisse.
Der Staatsanwalt fragt, ob Herr Volz nach den Vitalwerten geschaut hat oder sich in irgendeiner Weise dafür interessiert hat. Das habe er nicht explizit, allerdings habe Herr Volz einen besseren Blick auf die Werte gehabt, weil er ja viel näher dran war.
Joester liest aus dem Vernehmungsprotokoll der Polizei vor, wo Herr Kiel ausgesagt hat, zwischenzeitlich rausgegangen und einen Spatel für Herrn Volz geholt zu haben. Herr Kiel kann sich an diesen Vorgang nicht mehr erinnern.

Anschließend stellt Herr Joester stellt zwei Beweismittelanträge:
a) Vorladung von Herrn Henning Scherf mit folgender Begründung:
Herr Scherf habe als ehemaliger Justizsenator und Bürgermeister maßgeblich dazu beigetragen, dass die Brechmittelvergabe in Bremen so konsequent durchgezogen worden sei, obwohl andere Bundesländer sich von diesem Verfahren bereits abgewandt hatten. Er habe als Justizsenator Druck auf die Gesundheitssenatorin ausgeübt, die gegen die Brechmittelvergabe gewesen sei. Auch in seiner Zeit als Bürgermeister habe er die
Brechmittelvergabe geduldet und unterstützt. Ärzten, die die Brechmittelvergabe verweigerten, hätten mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen gehabt.

Frau Maleika hält diesen ersten Antrag für das Verfahren nicht für notwendig, da es hier um einen konkreten Fall von Brechmittelvergabe und dessen Umstände und nicht um das allgemeine und politische Klima gehe. Der Staatsanwalt stimmt dem Antrag zu. Die Richterin macht deutlich, dass so eine Vorladung nicht einfach sei und auch nicht so schnell gehen werde.

b) Begehung der Zelle, um einen Eindruck von der Akustik des Raum zu kriegen. Begründung: Herr Joester geht davon aus, dass die Akustik in dem Raum normal ist und alle Beteiligten relativ nah um Laye Conde herum gewesen sind. Ein Husten hätte zu hören sein müssen. Der Staatsanwalt und Frau Maleika stimmen dem Antrag zu.

Joester fragt nach, ob inzwischen Kontakt zur Mutter von Laye Conde hergestellt wurde, weil sonst die Nebenklage rechtlich ein Problem mit ihrem Mandat bekomme. Ein telefonischer Kontakt würde ihm hierfür nicht ausreichen.
Die Richterin sagt, dass sie über die Botschaft versucht Kontakt zu bekommen und dass das bisher nicht gelungen sei. Sie bittet Frau Maleika um Mithilfe für den Kontakt. Frau Maleika sagt, dass sie damit in Arbeit sei.

Verhandlungsort: Strafkammer 21, Schwurgericht 1, Saal 218

X Entschädigung für alle Betroffenen von Brechmittelfolter